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Gedachte Wirklichkeiten
Beispiele abstrakter Skulptur in Österreich

Leseprobe


Die Skulptur hat durch ihre räumliche Präsenz von jeher einen wesentlichen Stellenwert in der bildenden Kunst. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde sie zu einem Leitmedium, in dem neue Formensprachen entwickelt und neue Materialien verwendet wurden. Der traditionelle Rahmen der figurativen Skulptur wurde radikal gesprengt und die Idee des Körperlichen unter dem Eindruck abstrakter Tendenzen einer Neuinterpretation unterzogen. Durch Bewegungen wie Minimal Art, Fluxus, Performance oder Konzeptkunst differenzierte sich der Skulpturenbegriff und umfasste in der Folge vielfältige Positionen, Materialien, Medien und auch den öffentlichen Raum. Gemessen an der internationalen Kunstentwicklung erfolgte in Österreich der Aufbruch zu einer zeitgenössischen Skulptur verspätet. Dies gilt auch für die Antizipation abstrakter Tendenzen, die erst nach 1945 durch die Auseinandersetzung mit dem Kubismus und dem Informel Eingang in die Formensprache der Künstler fanden.
Einer der Künstler, der bereits in der Zwischenkriegszeit zur Abstraktion tendierte, war der aus Vorarlberg stammende Albert Bechtold. Als einer der wenigen Künstler dieser Zeit setzte er sich bereits damals mit einer kubistisch-abstrahierenden Formensprache auseinander. In Kenntnis der internationalen Entwicklungen, schuf Albert Bechtold von 1920 bis 1930 eine Reihe von wichtigen Skulpturen, die vor allem durch Reduktion und Vereinfachung der Form geprägt waren. Das Aufkommen gegenstandsloser Tendenzen wurde in der österreichischen Kunst in den 1920er Jahren, so der Kunsttheoretiker Christoph Bertsch, aus politischen und wirtschaftlichen Gründen jedoch jäh unterbrochen, so dass sich »kaum eine nachhaltige Tradition bilden konnte«. Bechtold wurde 1934 als Nachfolger des im gleichen Jahr verstorbenen Anton Hanak an die Wiener Akademie der bildenden Künste berufen, doch bereits 1938 »bis auf weiteres von seinen lehramtlichen Verpflichtungen enthoben und 1939 endgültig in den Ruhestand versetzt«. Eine Wiederberufung nach 1945 erfolgte nicht, obwohl der Künstler sich darum bemühte.
Nach 1945 löste Fritz Wotruba Albert Bechtold an der Akademie ab und vertrat gegenüber den Studierenden in seiner Auffassung der Skulptur eine seinem Vorgänger nicht unähnliche Haltung. Die »Wotruba-Schule« stand für die zeitgenössische Skulptur nach 1945 und symbolisierte die Avantgarde, was nicht zuletzt auch auf ihre überregionale Rezeption zurückzuführen war. In der Folge lässt sich für die rasante Entwicklung der Skulptur unter dem Einfluss internationaler Strömungen kein verbindender Begriff mehr definieren. Zu vielfältig waren die unterschiedlichen Aufbrüche in der Skulptur ab Mitte der 1950er Jahre, die auch durch eine radikale Erweiterung der Materialien sowie eine Verschränkung der Medien geprägt waren. Im Kreis der Wotruba-Schüler entwickelten sich ebenfalls unterschiedliche Tendenzen. Wotruba hielt am »Figuralen« ebenso fest wie an der Vorherrschaft der Steinskulptur. Gegen Ende der 1950er Jahre gingen daher auch Schüler Fritz Wotrubas ins Ausland, um ihre Ausbildung bei anderen Bildhauern zu ergänzen. Andere, wie Oswald Stimm, entwickelten bereits früh mit verschiedenen Materialien eine neue Formensprache in der Skulptur.

 

Silvie Aigner, aus dem Vorwort